
Nähe auf Distanz gestalten: Zwischenmenschliche Beziehungen in virtuellen Klassenräumen aufbauen

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Es ist nicht immer leicht, Beziehungen mit den Schülerinnen und Schülern aufzubauen, die direkt im Klassenzimmer vor einem sitzen. Umso schwieriger ist es, wenn beim Distanzunterricht noch räumliche Trennung und ein Bildschirm dazwischenstehen.
Denn informeller, ungeplanter Austausch findet oft auf natürliche Weise im Klassenzimmer statt. Online müssen solche Gelegenheiten oft geschaffen werden – sie passieren viel seltener von alleine.
Aber genau solche Erlebnisse schaffen Verbindungen und spielen eine Rolle, um Beziehungen aufzubauen und zu vertiefen. Aber wie kreiert man eine solche Atmosphäre Online mit genau solchen spontanen Austauschmöglichkeiten?
„Im Distanzunterricht geht es weniger um das systematische Abarbeiten des Lehrplans und Curriculums, sondern mehr um die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schülerinnen und Schülern.
… Hierbei übernimmt die Lehrkraft im Distanzunterricht noch stärker die Rolle der Lernbegleiterin und des Lernbegleiters.
… Ein stetiger kontinuierlich erfolgender Kontakt zu einer Lehrkraft ist unerlässlich. Die Schülerinnen und Schülern müssen wissen, dass sie „gesehen“ werden, dass sie nicht allein sind.“
Quelle: bildungsserver.berlin-brandenburg.de
Anhand von den Zitaten oben, kann man erkennen, wie wichtig die Rolle von Beziehungen ist, nicht nur im Präsenzunterricht, sondern auch im Distanzunterricht.
Dass Lernen ein starkes soziales Element hat, erkennt man daran, wie viele Schülerinnen und Schüler unter den Pandemie-Bedingungen gelitten haben. Monatelang haben sie ihre Freunde in der Schule nicht gesehen. Deswegen ist es wahrscheinlich nicht verwunderlich, dass laut Allensbach Studie der Wunsch nach sozialen Kontakten beim Lernen 2021 von 33% auf 43% gestiegen ist. Aber wie baut man solche Beziehungen überhaupt auf?
Aufbau von Beziehungen im Präsenz- und Onlineunterricht
- Im Präsenzunterricht werden die Impulse oft über Augenkontakt, Gestik, Mimik und Körpersprache gegeben. Falls eine Lehrkraft anhand des Gesichtsausdrucks eines Schülers oder einer Schülerin erkennen kann, dass es Probleme oder Klärungsbedarf gibt, kann er oder sie einfach danebenstehen und kurz nachfragen.
- In der Onlineumgebung funktioniert das nicht so. Vielleicht hat man keine Kamera, einfach mal vorbeischauen ist nicht möglich und die ruhigen Momente, die während der Paar- oder Gruppenarbeit in Präsenz stattfinden, spielen sich im Distanzunterricht anders ab.
Deswegen muss man hier auf andere Methoden zurückgreifen. Obwohl es immer wichtig ist, freundlich und unterstützend zu sein, ist dies in der Onlineumgebung besonders wichtig. Die „Kamerapräsenz“, oder anders gesagt, wie man über die Kamera rüberkommt, ist genauso wichtig, wie einen freundlichen Ton zu verwenden. Sonst kann es einem passieren, dass die Schülerinnen und Schüler sich nicht trauen, Fragen zu stellen, oder nicht bereit sind, Antworten zu geben. Falls die Bereitschaft, sich aktiv einzubringen nicht vorhanden ist, kann der Unterricht sehr zäh werden.
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Potenzielle Hindernisse
Ein weiteres Hindernis ist das Gefühl, „alleine zu sein“. Das kann passieren, weil man nicht in den gleichen Räumlichkeiten ist und sich dadurch allein fühlt. Manchmal fehlt der Augenkontakt. Manche Personen finden es unangenehm und ungewohnt, sich selbst in der Kamera zu sehen.
Diese Faktoren können dazu führen, dass sich Schülerinnen und Schüler einsam fühlen. Wer sich alleingelassen fühlt, traut sich vielleicht auch nicht, Fragen zu stellen, wenn etwas unklar ist.
Der Bedarf nach einem Klärungsgespräch ist für Lehrkräfte schwieriger zu erkennen und solche Gespräche sind auch schwieriger durchzuführen als im Präsenzunterricht. Lehrkräfte, Schüler und Schülerinnen gleichermaßen, können den Bildschirm als Trennwand sehen. Diejenigen auf der anderen Seite sind nicht „greifbar“. Und dann gibt es die Probleme, wenn die Technik streikt oder anders funktioniert als erwartet.
Die Rolle der Gruppenzugehörigkeit und Lernmotivation
Wie am Anfang schon erwähnt wurde, können soziale Komponenten eine wichtige Rolle für den Lernerfolg spielen. Es macht nicht nur mehr Spaß, gemeinsam zu lernen, sondern auch andere Faktoren, wie eine positive Lernatmosphäre, Gruppenstolz oder Anerkennung/Lob/Bestätigung, spielen hier eine entscheidende Rolle. Bei Gruppenarbeit ist es auch so, dass die soziale Unterstützung Schülerinnen und Schüler beflügeln kann. Hierzu gibt es mindestens drei mögliche Auswirkungen:
- soziale Unentbehrlichkeit
- soziale Kompensation
- sozialer Wettbewerb
Soziale Unentbehrlichkeit ist die Idee, dass stärkere Schülerinnen und Schüler schwächere Schülerinnen und Schüler „mitziehen“, um ein gemeinsames Projekt erfolgreich abzuschließen.
Soziale Kompensation bedeutet, dass manche Schülerinnen und Schüler andere Schülerinnen und Schüler „ausgleichen“, sprich sich ergänzen.
Der soziale Wettbewerb kann entweder unter Mitgliedern und Mitgliederinnen der eigenen Gruppe oder zwischen unterschiedlichen Gruppen in einer Klasse stattfinden. In beiden Fällen, kann es zu tollen Ergebnissen führen, da diese extrinsische Motivation (Motivation von außen, wie Lob, Anerkennung, gute Noten) ein Ansporn sein kann, sein Bestes zu leisten.
Vertrauen aufbauen und Hemmungen abbauen
Wie oben angedeutet, ist es wichtig, dass zwischen den eigenen Gruppenmitgliedern Vertrauen vorhanden ist und Hemmungen so gering wie möglich gehalten werden. Das ist aber auch wichtig für die Beziehung zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften. Glücklicherweise lassen sich manche Methoden auf beide Gruppen übertragen. Dazu gehören ein freundliches Auftreten und ein freundlicher Ton bzw. eine freundliche Ausdruckweise. Wer den Schülerinnen und Schülern zuhört und sie wahrnimmt, wird es leichter haben, diese Beziehungen aufzubauen, egal, ob in Präsenz oder Online. Das geht Hand in Hand mit Respekt und Zuneigung zeigen und vorleben.
Wer überfordert ist, tut sich immer schwerer, also empfiehlt es sich, die Schülerinnen und Schüler dort abzuholen, wo sie stehen, auch bei der Technik. Das kann bedeuten, dass man zuerst mehr Zeit und Aufwand vorab investieren muss, um später besser und effektiver arbeiten zu können. Aber diese Investition lohnt sich! Solche Probleme zu überwinden und gemeinsam durchzustehen, kann eine Gruppe auch toll zusammenschweißen und zwischenmenschliche Beziehungen vertiefen. Das ist auch der Fall, wenn Sie sich als Lehrkraft die Mühe machen, Hilfe auf alternativen Wegen (wie z. B. ein privater Chat, E-Mail außerhalb des Unterrichts usw.) anzubieten. Es kann sein, dass so eine „kleine“ Geste große Wirkung zeigt, was Vertrauen aufbauen und Hemmungen abbauen betrifft.
Wie jede gute Lehrkraft weiß (und wahrscheinlich sehr schätzt!), sind Verhaltensregeln wichtig. Das trifft sowohl im Präsenzunterricht als auch im Onlineunterricht zu. In beiden Fällen (je nach Altersstufe und Gruppe) kann es nützlich sein, diese Regeln gemeinsam zu erstellen. So hat jeder Schüler oder jede Schülerin die Möglichkeit (und quasi Verpflichtung), die eigene Meinung und Ideen dazu zu äußern. So fühlen sie sich gleichberechtigt und befähigt, Komponenten des Lernens in die eigenen Händen zu nehmen.
Als Letztes eine ganz wichtige Anregung – Dank. Bedanken Sie sich bei den Schülerinnen und Schülern fürs Mitmachen, für eine tolle Antwort, einen Hinweis, eine Bemerkung usw. So lassen sich zwischenmenschliche Beziehungen sehr gut vertiefen. Nur aufpassen, dass Sie den Dank ernst meinen, sonst könnte das ganz schnell das Gegenteil bewirken, nämlich eine Verschlechterung der hart erarbeiteten Beziehungsarbeit.
Offene Kommunikation fördern
Wer sich sicher und gut aufgehoben in seiner Umgebung fühlt, ist eher bereit, offen zu sprechen. Das ist auch wichtig in der Onlineumgebung. Wenn Lernende aus der Ferne das Gefühl haben, dass sie auch wahrgenommen werden und sich Gehör verschaffen können, fühlen sie sich auch als Teil der Gruppe, selbst, wenn eine geografische Entfernung dazwischenliegt.
Deswegen ist es wichtig, dass das Klassenzimmer so ausgestattet ist, dass alle einem Gespräch mühelos folgen, etwas dazu beitragen und sich interaktiv beteiligen können. Falls Probleme auftauchen, sollen die Schülerinnen und Schüler wissen, was sie machen sollen bzw. wen sie kontaktieren können. Respekt und Verständnis sind hier sehr hilfreich.
Die Rolle von Feedback
Um offene Kommunikation zu fördern, kann Feedback eine wichtige Rolle spielen. Laut dem Wegweiser – Lernen in Präsenz und Distanz, soll Feedback Folgendes sein:
- lernfördernd
- kontinuierlich
- wertschätzend
- vertrauensvoll
- informativ
Hier spiegelt es sich wider, wie wichtig Respekt und Vertrauen sind. Obwohl Feedback immer eine wichtige Rolle spielt, spielt es eine noch größere in der Online-Umgebung. Das ist verstärkt der Fall, wenn ein Teil der Verantwortung fürs Lernen an die Schülerinnen und Schülern übertragen wird und nicht hauptsächlich durch die Lehrkräfte übernommen wird. Um die Schülerinnen und Schüler beim Lernen zu unterstützen, müssen sie über drei Hauptthemen Bescheid wissen.
- Lernintentionen/Ziele/Erfolgskriterien
- Selbstbewertung und Selbsteinschätzung
- Fortschritte, neue Ziele
Hier können folgende Fragen behilflich sein, um ins Gespräch zu kommen oder zu bleiben.
- Wohin gehe ich?
- Wie komme ich voran?
- Wohin geht es als Nächstes?
Natürlich können auch hier digitale Feedback-Tools Unterstützung und Zeitersparnisse ermöglichen. Welches Tool am besten geeignet ist, ist davon abhängig, was man damit erreichen möchte. Unterschiedliche Tool-Kategorien sind zum Beispiel: Tonaufnahmen-Tools, Videoaufnahmen-Tools, GIFS (Graphics Interchange Format), Umfragen-Tools oder Wissensabfrage-Tools.
Strategien und Tipps
- Der erste Tipp lautet, keine übereifrigen Ziele zu setzen. Häufig ist es so, dass die Abläufe und Zeitangaben unterschiedlich sind zwischen Präsenz- und Distanzunterricht. Man sollte nicht davon ausgehen, dass man die gleiche Stoffmenge in der gleichen Zeit schaffen wird. Hier ist es empfehlenswert, etwas mehr Leerlauf bei der Planung zuzulassen, in der Erwartung, dass mehr Zeit für Aufgaben oder virtuelle Pausen benötigt werden. Im Präsenzunterricht gibt es diese kleinen Austauschmöglichkeiten von alleine. In der Onlineumgebung müssen sie erst geschaffen werden – sie passieren meistens nicht von alleine.
- Sprechen Sie die Schülerinnen und Schüler immer mit Namen an. So fühlen sie sich direkt angesprochen und im Unterrichtsgeschehen integriert.
- Erklären Sie den Lernprozess und Ihre Erwartungen. Wer weiß, was erwartet wird, hat es leichter, diese zu erfüllen.
- Zeigen Sie den Schülerinnen und Schülern, wie sie Fragen stellen sollen und dass Sie die Schülerinnen und Schüler persönlich kennenlernen möchten. So bieten Sie den Schülerinnen und Schülern ein Modell an, das sie auch für die Fragestellung anwenden können. Sie zeigen auch Interesse an den Schülerinnen und Schülern, was immer hilft, Beziehungen zu vertiefen.
- Vergessen Sie nicht die sozialen Elemente. Beziehen Sie die Eltern ein, bauen Sie Paar- und Gruppenarbeit ein, verwenden Sie Break-out Räume und bilden Sie feste Gruppenteams.
- Geben Sie oft Feedback in Form von Emoticons oder personalisierten Nachrichten und holen Sie Meinungen mit Umfragen ein. Oder lassen Sie die Schülerinnen und Schüler den eigenen Lernfortschritt anhand von Wissensabfragen mit Wettbewerbscharakter erkennen. Ermutigen Sie die Schülerinnen und Schüler, untereinander auch positives Feedback zu geben.
Vielleicht haben Sie jetzt ein paar Ideen, die Sie demnächst ausprobieren möchten, um die zwischenmenschlichen Beziehungen in Ihrem Online-Klassenzimmer zu vertiefen. Falls Sie auf der Suche nach Fortbildungen für Erzieherinnen und Erzieher oder Lehrkräfte zu diesem oder anderen bildungsbezogenen Themen sind, schauen Sie sich unser Kursangebot unter Betzold DIGIBIZ an. Sie können uns auch gerne unter [email protected] kontaktieren, um Ihre unverbindliche Schulungsanfrage mit uns zu besprechen.
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Quellen und Literatur
www.news4teachers.de/2021/02/wie-kann-man-soziale-beziehungen-in-der-klasse-virtuell-aufbauen-pflegen-und-erhalten/ - abgerufen 24.08.2021
teachtrainlove.com/virtual-learning-33-ways-to-build-relationships/ - abgerufen 24.08.2021
teachtrainlove.com/virtual-learning-25-social-emotional-learning-activities/ - abgerufen 25.08.2021
teachtrainlove.com/virtual-learning-20-structures-for-small-group-instruction/ - abgerufen 25.08.2021
www.nwea.org/blog/2021/75-digital-tools-apps-teachers-use-to-support-classroom-formative-assessment/ - abgerufen 25.08.2021
teachtrainlove.com/virtual-learning-13-tips-for-zoom-breakout-rooms/ - abgerufen 25.08.2021
www.news4teachers.de/2018/04/die-schule-der-zukunft-warum-sozio-emotionales-lernen-fuer-kinder-unerlaesslich-ist-ein-gastbeitrag/ - abgerufen 08.09.2021
www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/files/media/publications/Lernen-in-Zeiten-von-Corona-Bericht.pdf -abgerufen 02.09.2021
bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/Wegweiser-Lernen_in_Praesenz_und_Distanz-neu.pdf - abgerufen 02.09.2021
epale.ec.europa.eu/en/blog/establishing-rapport-online-education-setting - abgerufen 15.09.2021
ebildungslabor.de/blog/helfertools/ - abgerufen 15.09.2021
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